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Magentoxizität unter Aspirin, NSAR und COX-2-Hemmern
Managementstrategien 2006

 

Einleitung

Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) gehören zu den am häufigsten angewendeten Medikamenten zur Linderung von Schmerzen und Entzündungen. Durch die häufige Anwendung kommt deshalb auch relativ seltenen Nebenwirkungen eine grosse Bedeutung zu: Die NSAR führen in etwa 1% zu schwerwiegenden Komplikationen im Magendarmtrakt; zusätzlich zeigen 20-25% der Patienten unter NSAR unspezifische, dyspeptische Symptome. Neben den gastrointestinalen Problemen sind vor allem kardiovaskuläre und renale Komplikationen zu berücksichtigen. In Bezug auf gastrointestinale Komplikationen sind besonders Patienten gefährdet, welche Risikofaktorenaufweisen. Diese Risikofaktoren sind in der Zwischenzeit bekannt und können zum Teil verhindert werden.

Gastrointestinale Nebenwirkungen von NSAR, Aspirin und COX-2-Hemmern

Reizmagen, Sodbrennen, Magenschmerzen, Appetitlosigkeit sind die häufigsten Symptome bei regelmässiger Einnahme von NSAR. Diese Symptome sind klar von den Komplikationen zu unterscheiden. Grundsätzlich werden zwei Arten von unerwünschten Wirkungen unterschieden:

  • 1. Unspezifische Oberbauch-Symptome, verursacht durch die Medikamenteneinnahme;
  • 2.  Läsionen der Mukosa, welche zu Komplikationen im Magendarmtrakt führen (Ulzera im Magen bis zu entzündlichen Veränderungen im Kolon).

Bis zu 25% der Patienten, welche eine Therapie mit klassischen NSAR erhalten, entwickeln Geschwüre (Ulzera) im oberen Magendarmtrakt. Ein grosser Teil dieser Läsionen bleibt ohne Symptome. Das häufige Vorkommen dieser Geschwüre ist deshalb primär kein grosses klinisches Problem, ausser wenn sie zu Komplikationen führen. Ernsthafte, zum Teil lebensbedrohliche Komplikationen, treten bei jungen Patienten auch bei längerer Einnahme in weniger als 1% der Patienten auf. Bei Patienten über 65 Jahre nehmen die Komplikationen aber stark zu. Dies sind vor allem Blutungen aus Ulzerationen oder ein Magendarmdurchbruch. Aspirin, auch niedrig dosiert, verursacht ebenfalls Komplikationen im Magen. Aspirin interagiert speziell mit Helicobacter pylori; ein mit Helicobacter infizierter Magen ist für Aspirin induzierte Läsionen speziell anfällig. Ob eine vorbeugende Helicobacterbehandlung bei diesen Patienten sinnvoll ist, bleibt umstritten (als Alternative kommt eine prophylaktische Säuresekretionshemmung in Frage mit Hilfe eines Protonenblockers; Einzelheiten werden weiter unten besprochen). Nach einer Ulkuskomplikation (Blutung oder Perforation) sollte in jedem Fall eine Helicobacter-Eradikationsbehandlung stattfinden.

Anfang der 90er Jahre wurden zwei unterschiedliche Formen der Cyclooxigenasen entdeckt, COX-1 und COX-2. Diese beiden Enzyme sind im Körper unterschiedlich verteilt. COX-1 wirkt vor allem in der Schleimhaut des Magendarmtrakts und in den Blutplättchen. Im Magendarmtrakt hat COX-1 durch Bildung von Prostaglandinen einen schützenden Effekt auf die Schleimhaut, während es in den Blutplättchen die Gerinnung unterstützt. Die klassischen NSAR hemmen nun sowohl die Wirkungen von COX-1 und von COX-2; die schützende Wirkung von COX-1 wird unterdrückt, womit die Abwehrfunktion der Schleimhaut beeinträchtigt wird. COX-2 wird hingegen durch Entzündungsprozesse aktiviert, hat aber keinen Einfluss auf die schleimhautschützenden Wirkungen von COX-1; die Nebenwirkungen im Magendarmtrakt sollten also weniger häufig auftreten.

Grundlage der Nebenwirkungen von NSAR und Aspirin im Gastrointestinaltrakt ist also die Wirkung dieser Medikamente auf die Prostaglandinsynthese. Im Magen hat speziell COX-1 eine Bedeutung: die Prostaglandine regulieren defensive Systeme, welche die Magenmukosa vor der Säure schützen: Bikarbonatsekretion, Schleimfilm, verstärkter Blutfluss sind wesentliche Elemente im defensiven System des Magens. Durch Hemmung der Prostaglandinsynthese wird dieses defensive System geschwächt, die Ulkusentstehung gefördert.

Die Mehrzahl der NSAR induzierten unerwünschten gastrointestinalen Wirkungen sind im oberen Magendarmtrakt; aber auch im unteren Magendarmtrakt können unerwünschte Wirkungen auftreten (Ulzera, Entzündungen, auch Blutungen). COX-2-Hemmer verursachen weniger unerwünschte Wirkungen im unteren Magendarmtrakt.

Risikofaktoren

Gefährdet sind vor allem Patienten mit Risikofaktoren. Die wichtigsten Risikofaktoren sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Bei Vorliegen von einem oder mehreren der oben erwähnten Risikofaktoren muss man vorsichtig sein mit der Einnahme dieser Medikamente. Generell gilt die Empfehlung, dass ab zwei Risikofaktoren eine Prophylaxe durchgeführt werden soll. Bei einer vorangegangenen Komplikation (Ulkusblutungsanamnese) ist in jedem Fall eine Prophylaxe indiziert. Die möglichen Präventionsmassnahmen sollen im nächsten Abschnitt besprochen werden.

 

Die Einnahme von NSAR führt auch zu vermehrten dyspeptischen Beschwerden. Die Verabreichung von COX-2-Hemmern senkt zwar das Risiko für gastrointestinale Komplikationen, doch die Dyspepsierate ist in etwa gleich hoch. Eine Kombinationsbehandlung von klassischen NSAR zusammen mit einem Protonenpumpeninhibitor ist für den Patienten besser in Bezug auf dyspeptische Symptome als die alleinige Verabreichung eines COX-2-Hemmers.

Tabelle 1: Risikofaktoren bei Einnahme von Nichtsteroidalen Antirheumatika

 

  • höheres Alter (Alter > 65 Jahre)
  • Vorgeschichte einer Ulkuskrankheit oder von Magen-Darm-Komplikationen
  • Gleichzeitige Einnahme von Kortison oder von blutverdünnenden Medikamenten (Antikoagulation)
  • schwere Begleiterkrankung (Herzkrankheit, Leberkrankheit)
  • hohe Dosen von Nichtsteroidalen Antirheumatika
  • Kombination von verschiedenen Nichtsteroidalen Antirheumatika
  • Kombination mit Aspirin

Prävention von Komplikationen im Magendarmtrakt

Das Ausweichen auf andere Schmerzmittel ist eine Möglichkeit, wenn eine reine Schmerzbehandlung im Vordergrund steht. Falls aber zusätzlich eine entzündungshemmende Wirkung notwendig ist, sind diese alternativen Schmerzmittel keine effiziente Therapie. Andere Prophylaxemassnahmen sind deshalb bei Risikopatienten notwendig. Eine zwingende Indikation zur Prophylaxe stellt das gesicherte Ulkus, insbesondere eine Ulkusblutung, in der Anamnese des Patienten dar. Die Bedeutung anderer Risikofaktoren (Alter, Begleiterkrankung, Begleitmedikation) ist schwieriger zu quantifizieren. Immerhin ist klar dokumentiert, dass die meisten Komplikationen nach dem 65. Altersjahr auftreten. Sind mindestens zwei solcher Risikofaktoren vorhanden, sollte eine Prophylaxe durchgeführt werden.

 

Verschiedene grosse Outcome-Studien stehen uns zur Verfügung, um die Wirksamkeit prophylaktischer Massnahmen zu definieren. Auf Grund dieser Daten haben sich für Risikopatienten, die eine Behandlung mit NSAR benötigen, drei Möglichkeiten herauskristallisiert:

  • 1. eine medikamentöse Prävention mit einem Prostaglandinderivat (Misoprostol)
  • 2. eine medikamentöse Prävention mit einem Protonenpumpeninhibitor oder
  • 3. die Verschreibung von selektiveren Substanzen, den sogenannten COX-2-Hemmern.

Eine medikamentöse Prophylaxe geschieht heute in Regel mit säurehemmenden Medikamenten. Dass «ohne Säure, kein Ulkus» entstehen kann, war bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt. Durch eine gezielte Reduktion der Säureproduktion kann deshalb die Häufigkeit von Komplikationen im Magendarmtrakt vermindert werden. Die wirksamsten Substanzen zur Hemmung der Säureproduktion sind die Protonenpumpenhemmer (PPI). Die Wirksamkeit dieser Medikamente bei säure-assoziierten Krankheiten ist klar nachgewiesen. Diese Medikamente können nicht nur zur Linderung der dyspeptischen Symptome und zur Heilung von Geschwüren im Magendarmtrakt verwendet werden, sondern auch zur Prophylaxe von durch NSAR verursachten Magenschleimhautläsionen. Die Wirksamkeit der PPI in der Prävention von gastrointestinalen Komplikationen ist in mehreren grossen Studien dokumentiert worden. Eine einmal tägliche Verabreichung ist genügend. Die verschiedenen Präparate sind alle in etwa gleich wirksam. Die prophylaktische Verabreichung eines PPI bei gleichzeitiger Behandlung mit NSAR sollte bei jedem Patienten mit mehr als zwei gastrointestinalen Risikofaktoren erfolgen; der PPI muss solange eingenommen werden, wie die Behandlung mit den NSAR durchgeführt wird.

 

Auch Misoprostol, ein synthetischer Prostaglandinabkömmling, kann das Risiko von Komplikationen durch NSAR verringern. Das Medikament hat aber nie eine grosse Popularität erreicht, weil bei genügend hoher Dosierung etwa ein Drittel der Patienten unter Durchfall leidet. Zudem muss Misoprostol 4 mal pro Tag eingenommen werden, wenn die volle Gastroprotektion erreicht werden soll.

 

Eine neue Entwicklung betrifft die Verwendung von selektiven COX-2-Hemmern. Wie weiter oben schon beschrieben, hemmen die Coxibe nur das Enzym COX-2, haben aber keinen Einfluss auf das den Magendarmtrakt schützende Enzym COX-1. Die unerwünschten gastrointestinalen Nebenwirkungen und die Hemmung der Thrombozytenaggregation werden hingegen über die Hemmung der Cyclooxygenase-1 hervorgerufen; dabei sind die ulzerogenen Eigenschaften der NSAR um so grösser, je stärker sie das Enzym COX-1 hemmen. COX-2-Hemmer beeinflussen folglich die Thrombozytenfunktion nicht. Dadurch sollten weniger Nebenwirkungen im Magendarmtrakt auftreten, was durch mehrere grosse Studien auch belegt werden konnte. Allerdings muss der behandelnde Arzt im Auge behalten, dass ältere Patienten häufig Aspirin verabreicht erhalten (zur Prophylaxe bei Herz- und Gefässkrankheiten); bei einer Kombination von Coxiben mit Aspirin ist der gastrointestinale Sicherheitsvorteil nicht belegt. Leider haben sich bei den Coxiben nicht alle Hoffnungen erfüllt. Die verbesserte gastrointestinale Verträglichkeit ist nur bei ausgeprägter COX-2-Selektivität vorhanden; bei ungenügender Selektivität ist kein markanter Vorteil gegenüber nichtselektiven NSAR nachweisbar. Zudem sind in den letzten Monaten kardiovaskuläre Nebenwirkungen unter Langzeitbehandlung mit Coxiben beschrieben worden, was zum Rückzug von zwei Substanzen (Rofecoxib, Valdecoxib) geführt. Ob das erhöhte kardiovaskuläre Risiko nur für COX-2-selektive Substanzen Gültigkeit hat oder ob auch nichtselektive NSAR mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden ist, kann nicht abschliessend festgelegt werden. Immerhin suggerieren neuere Arbeiten, dass auch die klassischen NSAR ein leicht erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen verursachen. Der Einsatz dieser Medikamente sollte deshalb immer ein Abwägen von Vor- und Nachteilen beinhalten.

 

Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die Praxis

NSAR sind mit beträchtlichen Nebenwirkungen im Magendarmtrakt (möglicherweise auch mit gewissen kardiovaskulären Risiken) assoziiert. Viele der unerwünschten Wirkungen im Magendarmtrakt können frühzeitig durch Erstellen eines Risikoprofils definiert werden. Bei entsprechendem Risikoprofil müssen präventive Massnahmen erfolgen. Eine wirksame Strategie ist die gleichzeitige Gabe von Protonenpumpenhemmern; damit kann die Zahl der Nebenwirkungen im Magendarmtrakt markant verringert werden. Alternativ können Coxibe verschrieben werden. In der Schweiz ist nur ein Coxib erhältlich, Celecoxib. Coxibe haben im Vergleich zu herkömmlichen NSAR eine verminderte gastrointestinale Komplikationsrate, unter der Voraussetzung, dass sie nicht in Kombination mit Aspirin verabreicht werden. Diese verbesserte gastrointestinale Verträglichkeit konnte in verschiedenen Studien nachgewiesen werden; demgegenüber steht eine vermehrte Zahl von unerwünschten Wirkungen aufs Herz und das Gefässsystem. Im Moment ist unklar, ob nur Coxibe vermehrte Nebenwirkungen auf Herz und Gefässe ausüben oder ob auch die klassischen, nichtselektiven NSAR mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko verbunden sind. Ein sorgfältiges Abwägen zu Indikation mit erwünschter Wirkung, von potentiellen Nebenwirkungen im Magendarmtrakt oder im kardiovaskulären Bereich ist deshalb notwendig, sowohl für klassische NSAR als auch für Coxibe. Eine systematische Anwendung der oben angeführten Überlegungen ermöglicht eine wirksame Behandlung ohne die Zahl der Nebenwirkungen zu erhöhen, sowohl im Magendarmtrakt, als auch im kardiovaskulären Bereich.


 

Prof. Dr. med. Christoph Beglinger, Chefarzt, Abteilung für Gastroenterologie, Universitätsspital Basel



 
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