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Die stumme Mehrheit: Die Rolle der Normalflora bei der Resistenzentwicklung

Mit der Einführung des Penizillins in die klinische Medizin konnten zuvor tödlich verlaufende Infektionen wie Pneumonien, Meningitis oder Wundinfektionen, in vielen Fällen geheilt werden. Die daraus entstandene Euphorie war in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts so gross, dass man Infektionskrankheiten als überwunden betrachtete. Heute sind wir aus diesem Traum erwacht: Die 80er und 90er Jahren brachten eine massive Zunahme der Antibiotikaresistenz: Methizillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA), Vancomycin-resistente Enterokokken (VRE), sogar Vancomycin-resistente Staphylokokken (VRSA). Bei den gramnegativen Bakterien sind extended-spectrum Betalaktamasen (ESBL) in der Lage auch Cephalosporine der dritten Generation zu inaktivieren. Patienten mit multiresistenter Tuberkulose in Osteuropa können kaum mehr behandelt werden. Doch auch die Schweiz blieb von dieser Entwicklung nicht verschont. Am Universitätsspital in Genf ist ein Viertel der Staphylococcus aureus resistent auf Methizillin. Bereits 15% der Pneumokokken haben eine verminderte Empfindlichkeit auf Penizillin und mehr als 5% der E. coli sind resistent auf Chinolone. Einer der wesentlichsten Gründe für diese Entwicklung ist der häufige Antibiotikaeinsatz, teilweise auch in Situationen, die keine Antibiotikatherapie erfordern.

 

Auch während einer aktiven bakteriellen Infektion sind kaum mehr als 108-109 Krankheitserreger im Körper. Dagegen umfasst die physiologische Flora über 1014 Keime in einer enormen Artenvielfalt. Die physiologische Flora spielt denn auch eine wenig beachtete, aber wesentliche Rolle bei der Resistenzentwicklung. Ein Teil dieser Bakterien besitzt natürliche Resistenzen. So schützen sie sich gegen antimikrobielle Substanzen, die sie selbst produzieren, um einen Überlebensvorteil gegenüber den anderen Bakterien zu erlangen. Physiologische Bakterien mit solchen natürlichen Resistenzmechanismen können unter einer antibiotischen Behandlung selektioniert und angereichert werden. Unter bestimmten Voraussetzungen kann es dann zu einer Übertragung der Resistenzgene auf pathogene Infektionserreger kommen. Die Häufigkeit mit der dies geschieht, variiert sehr stark und ist abhängig von den beteiligten Bakterien und vom Ort, an dem sich diese Gene befinden. So werden Plasmide viel leichter und häufiger übertragen, als grosse, chromosomal kodierte Resistenzgene.

 

Am Beispiel von Staphylococcus aureus kann mehrfach beobachtet werden, wie Resistenzgene von der physiologischen Kommensalflora auf ein Pathogen übertragen wurden. Als 1943 Penizillin in die Medizin eingeführt wurde, waren alle S. aureus empfindlich auf Penizillin. Doch bereits innerhalb weniger Jahren wurde die Mehrzahl der Isolate von S. aureus resistent auf dieses Antibiotikum. Sie besassen eine Betalaktamase, die das Penizillin zerstört. Der Ursprung dieses Enzyms ist nicht bekannt, doch es wurde mit grosser Wahrscheinlichkeit von einem anderen Bakterium erworben. Da sich das Gen auf einem Plasmid befindet, kann es sehr leicht von einem Bakterium auf ein anderes übertragen werden. Kurz nach der Einführung von Methizillin und seinen Analoga, die durch die Betalaktamase nicht inaktiviert werden können, wurden Stämme von S. aureus isoliert, die auch gegen Methizillin resistent waren (MRSA). Sie besitzen ein neues Penizillin-Bindeprotein, das durch Betalaktam-Antibiotika nicht mehr gehemmt wird. Heute weiss man, dass der S. aureus das Gen für dieses neue Penizillin-Bindeprotein (mecA-Gen) durch horizontalen Transfer von koagulase-negativen Staphylokokken erwerben kann [1,2]. Da ein relativ grosses Genelement übertragen werden muss, scheint dieses Ereignis sehr selten zu sein. Dennoch steigt die Wahrscheinlichkeit mit zunehmender Häufigkeit methizillin-resistenter koagulase-negativer Staphylokokken. Und schliesslich bei der bisher letzten Stufe der Resistenzentwicklung des S. aureus, beim VRSA, wurde das Resistenzgen von einem Keim der normalen Darmflora übernommen: von den Enterokokken. Vor allem in Spitälern der USA ist der Anteil der Patienten, die intestinal mit Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) kolonisiert sind, stark gestiegen. Werden solche Patienten wegen einer MRSA-Infektion mit Vancomycin behandelt, so kommt es zu einer Anreicherung der VRE im Darm und das Gen für die Vancomycinresistenz (vanA-Gen) kann schliesslich auf den MRSA übertragen werden. Dieser Vorgang konnte bisher zweimal dokumentiert werden [3,4]. In Institutionen mit einer hohen Prävalenz von MRSA und VRE ist die gleichzeitige Kolonisation mit diesen beiden Problemkeimen nicht selten [5], so dass wir auch künftig immer wieder von VRSA lesen werden.

 

Diese Beispiele zeigen, dass unter einer antibiotischen Therapie Bakterien der Normalflora mit bestimmten Resistenzgenen angereichert werden, und dass sie diese unter Umständen auf pathogene Bakterien übertragen können. Jede Antibiotikagabe trägt somit – über ihre Wirkung auf die Normalflora – zu einer möglichen Resistenzentwicklung bei. Durch einen weisen Einsatz der Antibiotika kann diese Entwicklung teilweise auch wieder rückgängig gemacht werden. So sank beispielsweise in Finnland der Anteil der Makrolid-resistenten Streptokokken der Gruppe A, nachdem der Verbrauch von Makrolide landesweit verringert werden konnte [6]. Ebenso nimmt in Europa die Zahl der Personen ab, die im Darm mit VRE kolonisiert sind, nachdem 1997 der Einsatz von Avoparcin als Wachstumsförderer in der Tiermast verboten wurde. In der Humanmedizin werden 75% der Antibiotika zur Behandlung von Atemwegsinfektionen verwendet, obwohl bekannt ist, dass diese meist viral bedingt sind. Die zuverlässige Unterscheidung von bakteriellen und viralen Infektionen ist jedoch oft nicht möglich. Eine am Kantonsspital Basel durchgeführte Studie zeigt nun, dass durch den Einsatz eines hochsensitiven Tests für Procalcitonin diese Unterscheidung besser gelingen könnte [7]. Wenn sich diese Resultate bestätigen und breit in die Praxis umgesetzt werden können, so gelingt ein wichtiger Schritt zur Reduktion des antibiotischen Selektionsdruckes.

 

 

Dr. med. et dipl. chem. ETH Gerhard Eich, Leiter Spitalhygiene, Kantonsspital St. Gallen.

 

Literatur
1. CLC Wielders, MR Vriens, S Brisse et al. Evidence of in-vivo transfer of mecA DNA between strains of Staphylococus aureus. Lancet 2001; 357: 1674-75.
2. DA Robinson, MC Enright. Evolutionary models of the emergence of Methicillin-resistant Staphylococcus aureus. Antimicrob Agents Chemother 2003; 47: 3926-34.
3. S Chang, DM Sievert, JC Hageman et al. Infection with Vancomycin-Resistant Staphylococcus aureus Containing the vanA Resistance Gene. N Engl J Med 2003; 348:1342-47.
4. D Ferber. Microbiology. Triple-threat microbe gained power from another bug. Science 2003; 302:1569-71.
5. AJ Ray, NJ Pultz, A Bhalla et al. Coexistence of vancomycin-resistant enterococci and Staphylococcus aureus in the intestinal travct of hospitalized patients. Clin Inf Dis 2003; 37: 875-81.
6. H Seppälä, T Klaukka, J Vuopio-Varkila et al. The Effect of Changes in the Consumption of Macrolide Antibiotics on Erythromycin Resistance in Group A Streptococci in Finland. N Engl J Med 1997; 337:441-446.
7. M Christ-Crain, D Jaccard-Stolz, R Bingisser et al. Effect of procalcitonin-guided treatment on antibiotic use and outcome in lower respiratory tract infections: cluster-randomised, single-blinded intervention trial. Lancet 2004; 363: 600-607.



 
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