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Schizophrenie: moderne Behandlungsansätze

Obwohl die Zahl der jährlichen Neuerkrankungen recht gering ist (10-20 Neuerkrankungen pro 100’000 Einwohner), gehört die Schizophrenie zu den teuersten Krankheiten. 1.5-2% der Ausgaben im Gesundheitswesen werden dafür aufgewendet, weil die Schizophrenie häufig ist, im jungen Erwachsenenalter beginnt und oft chronifiziert.

 

Die meist komplexe Behandlung dieser Patienten gehört in die Hände von Spezialisten oder sollte in enger Zusammenarbeit mit diesen erfolgen. Die Behandlung ist in der Regel langfristig angelegt und umfasst das Spektrum von akut-psychiatrischen bis zu rehabilitativen Massnahmen. Behandlungsziele sind Symptomkontrolle, Rückfallverhütung, Verbesserung der Lebensqualität und Integration in normale Lebensbezüge.

 

Symptomkontrolle

Die Symptomkontrolle ist ein Kernbereich der medikamentösen Therapie. Die in jüngster Zeit entwickelten Medikamente lassen die Verwendung der klassischen Neuroleptika wie Haloperidol obsolet erscheinen. Wegen des in der Kurzzeitanwendung niedrigen und gut dokumentierten Risikoprofils wird Haloperidol allerdings heute noch in der Notfallpsychiatrie benutzt. Die modernen Substanzen, auch atypische Neuroleptika genannt, weisen die extrapyramidalen Symptome der klassischen Neuroleptika in geringerem Umfang auf und sind etwa gleich wirksam wie die Referenzsubstanz Haloperidol im Hinblick auf die positiven Symptome (Wahn, Halluzinationen, Erregung). Sie sind deutlich wirksamer in Bezug auf die sog. Negativsymptome (Antriebsarmut, Anhedonie, Sprachverarmung), die Verbesserung affektiver Symptome und kognitiver Defizite (Aufmerksamkeit, Konzentration, planerisches Handeln). Inzwischen steht in der Schweiz mit Aripiprazol ein neuartiges Antipsychotikum mit dualem Mechanismus in der Dopaminregulation kurz vor der Einführung. Aripiprazol reguliert sowohl einen Dopaminüberschuss, der mit den Positivsymptomen in Verbindung gebracht wird, als auch einen Dopaminmangel, der für die Negativsymptome verantwortlich gemacht wird.


Bei ähnlicher Wirksamkeit hängt die Wahl des Neuroleptikums vom Nebenwirkungsprofil und den verfügbaren Darreichungsformen ab. Dabei gilt es je nach Behandlungsphase unterschiedliche NW im Auge zu behalten: Siehe Abbildung 1

 

Die unterschiedlichen NW resultieren aus dem ungleichen Rezeptorbindungsprofil der Substanzen: Siehe Tabelle 1. In der Akuttherapie sollten möglichst Medikamente eingesetzt werden, die nicht aufdosiert werden müssen und die evtl. in Form von Tropfen, schnelllöslichen Tabletten oder als Injektionslösungen vorliegen (z.B. Haloperidol, demnächst in der Schweiz auch Olanzapin).

 

Für die meisten Atypika ist noch keine Dosis-Wirksamkeits-Relation etabliert. Für die gelegentlich empfohlene Hochdosierungstherapie gibt es nur wenig empirische Evidenz. Mit ansteigender Dosierung nehmen meist nur die NW zu und die Compliance ab. Zu beachten ist, dass Ersterkrankte oft deutlich niedrigerer Dosierungen bedürfen. Im Falle von unzureichender bzw. nur partieller Wirksamkeit sollte zunächst der Plasmaspiegel kontrolliert, dann das Medikament unter Beachtung der NW schrittweise erhöht werden, bevor nach ca. 6 Wochen auf ein anderes Antipsychotikum – möglichst mit einem anderen Bindungsprofil – gewechselt wird. Für therapieresistente Patienten ist Clozapin immer noch das Mittel der Wahl.

 

Kombinationen verschiedener Neuroleptika sollten vermieden werden. Bei mangelnder Sedierung in der Akutphase empfehlen sich zusätzlich Benzodiazepine. Bei Kombination mit Medikamenten anderer Stoffklassen sind die Interaktionen zu beachten.

 

Rückfallprophylaxe

Neben der Symptomkontrolle spielen die Antipsychotika eine zentrale Rolle in der Rückfallprophylaxe. Das Risiko eines Rückfalls steigt nach Absetzen des Antipsychotikums um das 5-fache. Nach einer Ersterkrankung sollte die Rückfallprophylaxe 1-2 Jahre weitergeführt werden, bei erneuten Rückfällen 2-5 Jahre, allenfalls bedarf es einer lebenslangen Erhaltungstherapie. Entschliesst man sich zum Absetzen der Medikation, sollte dies langsam in 4-wöchigen Schritten über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten erfolgen.

 

Die intermittierende Therapie, d.h. Therapieneubeginn jeweils nach Auftreten erster Symptome, hat sich als wenig erfolgreich erwiesen, da die ersten Symptome oft unspezifisch sind und nur retrospektiv den Beginn einer neuen Episode markieren.


In der Rückfallprophylaxe haben Depotneuroleptika einen wichtigen Stellenwert, wobei von den modernen Neuroleptika zur Zeit nur Risperidon als Depot (Consta) verfügbar ist. Neben stabileren Plasmaspiegeln und niedrigerer Substanzbelastung im Vergleich zur oralen Medikation differenziert die Depotanwendung gut zwischen mangelnder Wirksamkeit und Non-Compliance.

 

Die besten Ergebnisse in der Rückfallprophylaxe werden durch die Kombination medikamentöser Behandlung mit psychosozialer Therapie, u.a. Familieninterventionen, erzielt. Inzwischen ist belegt, dass fortdauernde Kritik und Feindseligkeit in der Familie das Rückfallrisiko steigert. Familientherapieprogramme, die ein Kommunikations- sowie Problemlösetraining sowie Verhaltensstrategien bei spezifischen Problemen vermitteln, sind bestens geeignet, die Rückfallrate deutlich über den medikamentösen Effekt hinaus zu senken.

 

Lebensqualität

Wurden Schizophreniekranke früher jahre-, teils lebenslang in den psychiatrischen Anstalten aufbewahrt, hat der Fortschritt in der Psychiatrie dazu beigetragen, dass Betroffene heute oft in ihren normalen Lebensbezügen behandelt werden.

 

Zahlreiche Studien zeigen, dass Menschen, wenn sie in ihrem sozialen Netz eingebettet sind, trotz chronischer Erkrankung eine bessere Lebensqualität haben. Ist die Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt, müssen die sozialen Kompetenzen gestärkt werden. Hierzu gibt es inzwischen verschiedene Trainingsprogramme. International anerkannt ist das von Brenner in Bern entwickelte Therapieprogramm zur Förderung der sozialen Wahrnehmung, der verbalen Kommunikation, der sozialen Fertigkeiten und der interpersonellen Problemlösung. Andere Programme fokussieren mehr auf alltagspraktische Fertigkeiten wie Konversation, Freizeitaktivitäten, Umgang mit Medikamenten oder Selbstversorgung, Haushaltsführung und Hygiene. Wegen ihrer Wirksamkeit gehören diese Programme heute zur Standardbehandlung schizophrener Patienten.

 

Integration

Noch heute sind psychisch Kranke einem stigmatisierenden und diskriminierenden Verhalten der Gesellschaft ausgesetzt. Speziell davon betroffen sind schizophren Erkrankte, da sie als gefährlich, unberechenbar und unheimlich gelten. Daher werden sie in vielen Lebensbereichen, wie z.B. bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche, benachteiligt. Neben dem schweren Schicksal ihrer Erkrankung müssen Betroffene auch noch mit der Diskriminierung fertig werden.

 

Die Aufgabe der psychiatrischen Rehabilitation besteht in der Integration der Betroffenen in die Gesellschaft. Der Arbeitsintegration kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. War früher die geschützte Werkstatt Hauptbeschäftigungsort für die Betroffenen, wird heute versucht, Arbeitsplätze auf dem freien Arbeitsmarkt zu vermitteln und sie dort zu betreuen. Dieser Ansatz wird «supported employment» genannt und gegenwärtig in Zürich und Bern erprobt.

Die vielschichtigen Behandlungsziele erfordern eine enge Zusammenarbeit im interdisziplinären Team. Es steht ausser Frage, dass erfahrene niedergelassene Ärzte in Kooperation mit einem Psychiater ebenfalls erfolgreich Schizophreniekranke behandeln können. Ihr grosses Plus ist u.a., dass sie den Betroffenen – hier den an Schizophrenie Erkrankten – eine langjährige Behandlungskontinuität bieten können.

 

 

Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Wulf Rössler, Klinischer Direktor, Psychiatrische Universitätsklinik, Zürich

 



 
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